Zur Erfüllung der Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG

BAG, Urteil vom 07.07.2011 – 2 AZR 12/10

Die Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG kann auch durch Zeiten einer Beschäftigung in demselben Betrieb oder Unternehmen erfüllt werden, während derer auf das Arbeitsverhältnis nicht deutsches, sondern ausländisches Recht zur Anwendung gelangte.(Rn.23)

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 6. Oktober 2009 – 7 Sa 569/09 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

2

Die Beklagte ist eine in Lettland ansässige Bank. Sie unterhielt in B eine im Handelsregister eingetragene Zweigniederlassung. Dort beschäftigte sie regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer. Am 12. Juni 2008 eröffnete sie eine Filiale in M. Diese Filiale war – ebenso wie eine bereits bestehende Zweigstelle in H – organisatorisch der Niederlassung B zugeordnet. In M beschäftigte die Beklagte im Jahr 2008 nicht mehr als fünf Arbeitnehmer.

3

Der Kläger ist lettischer Staatsbürger. Am 7. April 2008 schlossen die Parteien in Lettland einen in lettischer Sprache abgefassten, unbefristeten Arbeitsvertrag für eine Tätigkeit in M. Er sah eine Probezeit bis zum 4. Juli 2008 vor. Nach seiner Einarbeitung in Lettland absolvierte der Kläger ab dem 12. Mai 2008 eine Schulung in B. Noch im selben Monat übernahm er die Leitung der im Aufbau befindlichen M Filiale. Gemäß einer Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag, datiert auf den 12. Mai 2008 und gleichfalls in lettischer Sprache abgefasst, hatte der Kläger die Stelle „Leiter der Filiale bei der Kundenbetreuungsabteilung“ inne. Zu seinem Einsatzort heißt es dort: „R, Lettland und M, Deutschland“.

4

Unter dem Datum des 9. Juni 2008 schlossen die Parteien einen in deutscher Sprache abgefassten neuen Arbeitsvertrag. Er war mit Bezug auf § 14 Abs. 2 TzBfG auf ein Jahr befristet und sah eine sechsmonatige Probezeit vor. Als Tätigkeit war die eines Filialleiters der M Filiale genannt. Das Vertragsverhältnis sollte mit Erteilung einer „EU-Arbeitserlaubnis“ (Arbeitsgenehmigung nach § 284 SGB III) an den Kläger beginnen. Laut einer der Schlussbestimmungen des Arbeitsvertrags versicherte der Kläger, dass zwischen den Parteien zuvor kein Arbeitsverhältnis bestanden habe.

5

Mit Schreiben vom 4. Juli 2008 bat der Kläger – entsprechend einer Vorgabe der Beklagten – um Aufhebung des bisherigen Arbeitsvertrags und Neubegründung eines Arbeitsverhältnisses zum 7. Juli 2008 auf der Grundlage der Vereinbarung vom 9. Juni 2008.

6

Mit Schreiben vom 8. Dezember 2008, dem Kläger zugegangen am 9. Dezember 2008, kündigte die Beklagte das „seit dem 07.07.2008 bestehende“ Arbeitsverhältnis zum 23. Dezember 2008, „hilfsweise zum rechtlich nächstmöglichen Termin“.

7

Der Kläger hat rechtzeitig Kündigungsschutzklage erhoben und geltend gemacht, auf das Arbeitsverhältnis finde das Kündigungsschutzgesetz Anwendung. Die Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG sei erfüllt. Die Beschäftigungszeiten aus den beiden Arbeitsverhältnissen seien zusammenzurechnen. Deren Unterbrechung sei unbeachtlich. Der betriebliche Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes sei eröffnet. Die M Filiale bilde mit der Zweigniederlassung B einen Betrieb iSv. § 23 Abs. 1 KSchG. Die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Gründe iSv. § 1 Abs. 2 KSchG lägen nicht vor.

8

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 8. Dezember 2008 nicht aufgelöst worden ist.

9

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde, aufzulösen. Sie hat die Auffassung vertreten, das Arbeitsverhältnis habe bei Zugang der Kündigung noch keine sechs Monate „ununterbrochen“ bestanden. Auf das erste Arbeitsverhältnis der Parteien sei lettisches Recht zur Anwendung gelangt. Die Anrechnung unter Geltung fremden Rechts verbrachter Beschäftigungszeiten auf die Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG widerspreche den Bestimmungen des Internationalen Privatrechts. Die Kündigung sei im Übrigen auch bei Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes wirksam. Sie – die Beklagte – habe vor dem Hintergrund der Finanzkrise entschieden, ihre Personalkosten zu senken. Zur Erreichung dieses Ziels habe sie eine von fünf Filialleiterstellen in Deutschland gestrichen. Den bisherigen Aufgabenbereich des Klägers habe sie der zuvor in B beschäftigten stellvertretenden Leiterin „Asset management“ übertragen und diese mit Ausscheiden des Klägers nach M versetzt. Die Umverteilung der Arbeiten sei wegen insgesamt verringerten Arbeitsanfalls möglich gewesen. Die Sozialauswahl sei ordnungsgemäß erfolgt. Zumindest sei das Arbeitsverhältnis nach § 9 KSchG wegen erheblicher Pflichtwidrigkeiten des Klägers im Verlauf des Kündigungsrechtsstreits aufzulösen.

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Der Kläger hat beantragt, den Auflösungsantrag abzuweisen.

11

Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Den Auflösungsantrag der Beklagten hat es abgewiesen. Mit der Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend entschieden. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die ordentliche Kündigung vom 8. Dezember 2008 nicht aufgelöst worden.

13

A. Gegenstand der Revision ist allein der Kündigungsschutzantrag des Klägers. Der Auflösungsantrag ist nicht zur Entscheidung angefallen; die Beklagte verfolgt diesen Antrag in der Revision nicht weiter.

14

B. Die Kündigung der Beklagten ist unwirksam. Sie ist sozial ungerechtfertigt (§ 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG).

15

I. Die Wirksamkeit der Kündigung ist nach deutschem Kündigungs(schutz)recht zu beurteilen. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien gelangte jedenfalls im Kündigungszeitpunkt deutsches Recht zur Anwendung.

16

1. Nach Internationalem Privatrecht (IPR) bestimmt sich die Frage, welches Gesetzesrecht auf einen Privatrechtssachverhalt anzuwenden ist, nach den Regelungen des Staates, dessen Gerichte zur Entscheidung angerufen werden. Dementsprechend sind hier die das Arbeitsrecht betreffenden Bestimmungen der Art. 27 bis 37 EGBGB einschlägig. Diese sind zwar zum 17. Dezember 2009 durch die Bestimmungen der Verordnung Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (RomI-VO) abgelöst worden. Nach Art. 28 RomI-VO finden aber deren Regelungen auf Vertragsverhältnisse, die – wie im Streitfall – vor dem 17. Dezember 2009 begründet worden sind, keine Anwendung (vgl. BAG 26. Mai 2011 – 8 AZR 37/10 – Rn. 39).

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2. Die Parteien haben mit dem Arbeitsvertrag vom 9. Juni 2008 iSv. Art. 27 Abs. 1 Satz 2 EGBGB konkludent deutsches Recht gewählt, indem sie auf deutsche Rechtsvorschriften – etwa § 14 Abs. 2 TzBfG – Bezug genommen haben. Unabhängig davon verweist die Regelanknüpfung des Art. 30 Abs. 2 EGBGB auf deutsches Recht. Danach findet mangels Vereinbarung das Recht desjenigen Staates Anwendung, in welchem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet. Regelmäßiger Arbeitsort des Klägers war zuletzt M. Umstände, die nach dem Wirksamwerden der Vereinbarungen vom 9. Juni 2008 auf eine engere Verbindung des Arbeitsverhältnisses zu Lettland hinweisen könnten, sind nicht zu erkennen.

18

II. Die persönlichen und betrieblichen Voraussetzungen für die Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes (§ 1 Abs. 1, § 23 Abs. 1 KSchG) liegen vor.

19

1. Die Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG ist erfüllt. Das Arbeitsverhältnis des Klägers hat bei Zugang der Kündigung im Unternehmen der Beklagten „ohne Unterbrechung“ länger als sechs Monate bestanden. Die unter Geltung des Arbeitsvertrags vom 7. April 2008 zurückgelegten Beschäftigungszeiten sind trotz der zwischenzeitlichen Vertragsänderungen zu berücksichtigen. Das gilt selbst dann, wenn im Zusammenhang mit der Anfang Juli 2008 eingetretenen rechtlichen Unterbrechung ein Wechsel des Arbeitsvertragsstatuts stattgefunden haben sollte. Zugunsten der Beklagten kann daher unterstellt werden, dass – wovon das Landesarbeitsgericht positiv ausgegangen ist – auf das erste Arbeitsverhältnis der Parteien lettisches Recht Anwendung fand.

20

a) § 1 Abs. 1 KSchG schließt die Anrechnung von Beschäftigungszeiten aus einem vorangehenden Arbeitsverhältnis auf die Wartezeit nicht unter allen Umständen aus.

21

aa) Zwar ist nach dem Wortlaut des Gesetzes für die Wahrung der Frist jede rechtliche Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses schädlich, sei sie auch nur von kürzester Dauer. Dies würde jedoch Sinn und Zweck der Wartezeit nicht gerecht. Danach soll der Arbeitnehmer erst nach einer gewissen Dauer der Zugehörigkeit zum Betrieb oder Unternehmen Kündigungsschutz erwerben (BAG 23. September 1976 – 2 AZR 309/75 – zu I 2 c der Gründe, BAGE 28, 176). Den Arbeitsvertragsparteien soll für eine gewisse Zeit die Prüfung ermöglicht werden, ob sie sich auf Dauer binden wollen (BAG 24. November 2005 – 2 AZR 614/04 – zu B 1 b der Gründe, BAGE 116, 254). Dieses Regelungsziel verlangt nicht danach, mit jeder noch so kurzen rechtlichen Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses die Wartezeit erneut beginnen zu lassen. So wäre es etwa vor diesem Ziel sachlich nicht zu begründen, ein Arbeitsverhältnis, das an einem – ohnehin arbeitsfreien – Wochenende auf Veranlassung des Arbeitgebers geendet hat, selbst bei Wiedereinstellung des Arbeitnehmers zu Beginn der darauffolgenden Woche als iSv. § 1 Abs. 1 KSchG unterbrochen anzusehen (BAG 28. August 2008 – 2 AZR 101/07 – Rn. 18, AP KSchG 1969 § 1 Nr. 88; 19. Juni 2007 – 2 AZR 94/06 – Rn. 13, BAGE 123, 185). Es ist deshalb für den Lauf der Wartezeit unschädlich, wenn innerhalb des Sechsmonatszeitraums zwei oder mehr Arbeitsverhältnisse liegen, die ohne zeitliche Unterbrechung unmittelbar aufeinanderfolgen. Setzt sich die Beschäftigung des Arbeitnehmers nahtlos fort, ist typischerweise von einem „ununterbrochenen“ Arbeitsverhältnis auszugehen. Das gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer während der Wartezeit verschiedenartige Tätigkeiten ausgeübt hat (vgl. BAG 23. September 1976 – 2 AZR 309/75 – zu I 2 f der Gründe, aaO; KR/Griebeling 9. Aufl. § 1 Rn. 114; MünchKommBGB/Hergenröder 5. Aufl. § 1 KSchG Rn. 33; Schwarze in Schwarze/Schrader/Eylert KSchG § 1 Rn. 1; SPV/Vossen 10. Aufl. Rn. 876; einschränkend: ErfK/Oetker 11. Aufl. § 1 KSchG Rn. 40; Löwisch/Spinner KSchG 9. Aufl. § 1 Rn. 43).

22

bb) Selbst in Fällen, in denen es an einer nahtlosen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses fehlt, kann eine rechtliche Unterbrechung unbeachtlich sein, wenn sie verhältnismäßig kurz ist und zwischen beiden Arbeitsverhältnissen ein enger sachlicher Zusammenhang besteht. Dafür kommt es insbesondere auf Anlass und Dauer der Unterbrechung sowie auf die Art der Weiterbeschäftigung an (st. Rspr., bspw. BAG 28. August 2008 – 2 AZR 101/07 – Rn. 19, AP KSchG 1969 § 1 Nr. 88; 19. Juni 2007 – 2 AZR 94/06 – Rn. 13, BAGE 123, 185; grundlegend: 6. Dezember 1976 – 2 AZR 470/75 – zu 3 d der Gründe, BAGE 28, 252). Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, hängt vom Einzelfall ab. Eine feste zeitliche Begrenzung für den Unterbrechungszeitraum besteht nicht. Je länger die Unterbrechung gedauert hat, desto gewichtiger müssen die für einen sachlichen Zusammenhang sprechenden Umstände sein (vgl. BAG 28. August 2008 – 2 AZR 101/07 – Rn. 20, aaO; 20. August 1998 – 2 AZR 76/98 – zu II 1 der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Wartezeit Nr. 9 = EzA KSchG § 1 Nr. 49).

23

b) Diese Grundsätze kommen auch dann zum Tragen, wenn für das frühere Arbeitsverhältnis nicht deutsches, sondern ausländisches Recht galt. Für die Anrechnung von Beschäftigungszeiten aus einem vorangegangenen Arbeitsverhältnis ist es grundsätzlich unerheblich, ob dieses einem anderen Arbeitsvertragsstatut unterlag.

24

aa) Ob fremdem Recht unterfallende Vorgänge bei der Anwendung einer deutschen Rechtsnorm Berücksichtigung finden, ist durch Auslegung des einschlägigen deutschen Gesetzes zu ermitteln (bspw. MünchKommBGB/Sonnenberger 5. Aufl. Einl. IPR Rn. 609; Deinert RIW 2008, 148, 150 f.; Otto/Mückl BB 2008, 1231). Maßgeblich ist § 1 Abs. 1 KSchG.

25

bb) Dem Wortlaut nach verlangt diese Bestimmung nur, dass das Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen länger als sechs Monate bestanden hat. Eine (Selbst-)Beschränkung in dem Sinne, dass auf das Arbeitsverhältnis durchgehend deutsches Recht zur Anwendung gelangt sein müsse, lässt sich daraus nicht ableiten. Das Gesetz stellt – im Gegenteil – mit der Anknüpfung an den Begriff „Unternehmen“ einen Auslandsbezug zumindest insoweit her, als es in seinen Geltungsbereich auf diese Weise auch solche Arbeitsverhältnisse einbezieht, die mit ausländischen Unternehmen bestehen. Bereits dies spricht dafür, dass es auf das Vertragsstatut, unter dem die Beschäftigungszeiten zurückgelegt wurden, nicht entscheidend ankommt.

26

cc) Dies wird durch Sinn und Zweck der Wartezeitregelung bestätigt. Dem Ziel, sich gegenseitig kennenzulernen und prüfen zu können, dient auch die Beschäftigung in einem Arbeitsverhältnis, auf das vorübergehend deutsches Recht keine Anwendung fand. Die Frage, ob sich der Arbeitgeber enger an den Arbeitnehmer binden will, stellt sich im Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes nach sechsmonatiger Dauer der Beschäftigung. Die Möglichkeit, dies sachgerecht zu beurteilen, hängt nicht davon ab, dass auf das Arbeitverhältnis durchgängig deutsches Recht zur Anwendung gelangt ist. Auch Zeiten einer Beschäftigung auf der Grundlage fremden Vertragsstatuts bieten dem Arbeitgeber dazu ausreichend Gelegenheit (vgl. ErfK/Oetker 11. Aufl. § 1 KSchG Rn. 41).

27

dd) Der Anrechnung von Beschäftigungszeiten unter fremdem Arbeitsvertragsstatut stehen keine systematischen Erwägungen entgegen. Sie gerät insbesondere nicht in Widerspruch zur Begrenzung des Geltungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes auf in Deutschland gelegene Betriebe in § 23 Abs. 1 KSchG.

28

(1) Der Erste Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes findet zwar nur auf Betriebe Anwendung, die in Deutschland gelegen sind (vgl. BAG 8. Oktober 2009 – 2 AZR 654/08 – Rn. 13, EzA KSchG § 23 Nr. 35; 17. Januar 2008 – 2 AZR 902/06BAGE 125, 274; siehe auch BVerfG 12. März 2009 – 1 BvR 1250/08 -). Dies schließt es aus, bei der Beurteilung, ob die deutsche Zweigniederlassung eines ausländischen Unternehmens die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 KSchG erfüllt, im Ausland tätige Arbeitnehmer zu berücksichtigen, jedenfalls soweit deren Arbeitsverhältnisse nicht deutschem Recht unterliegen (BAG 26. März 2009 – 2 AZR 883/07 – Rn. 22, AP KSchG 1969 § 23 Nr. 45). Im Gegensatz zu § 23 Abs. 1 KSchG stellt § 1 Abs. 1 KSchG aber nicht nur auf die jeweiligen Verhältnisse im Betrieb ab, sondern erweitert seinen Anwendungsbereich auf das gesamte Unternehmen des Arbeitgebers.

29

(2) Zudem beruht die Beschränkung des Geltungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes auf in Deutschland gelegene Betriebe auf dem Umstand, dass die Gewährung von Kündigungsschutz gegenüber einem Arbeitnehmer Auswirkungen auf die Arbeitsverhältnisse des Arbeitgebers mit anderen Arbeitnehmern haben kann. Das ist widerspruchsfrei nur möglich, wenn im Zeitpunkt der Kündigung gegenüber allen möglicherweise betroffenen Arbeitnehmern und gegenüber dem Arbeitgeber dasselbe, nämlich deutsches Kündigungsschutz- und Arbeitsrecht angewendet und auch durchgesetzt werden kann (vgl. BAG 26. März 2009 – 2 AZR 883/07 – Rn. 15 ff., AP KSchG 1969 § 23 Nr. 45). Demgegenüber berührt die Frage, ob auf die Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG Beschäftigungszeiten aus einem Arbeitsverhältnis anzurechnen sind, das einer anderen Rechtsordnung unterfällt, in erster Linie die individuellen Verhältnisse des betreffenden Arbeitnehmers. Außerdem stellt sie sich nur in Bezug auf Arbeitsverhältnisse, die jedenfalls im Kündigungszeitpunkt deutschem Recht unterlagen.

30

ee) Zu Unrecht meint die Revision, die Anrechnung von Beschäftigungszeiten, die unter Geltung fremden Arbeitsvertragsstatuts zurückgelegt wurden, schränke in unzulässiger Weise ihre nach Kollisionsrecht gegebenen Rechtswahlmöglichkeiten ein. Es entspricht den allgemeinen Grundsätzen des Internationalen Privatrechts, dass im Fall eines Statutenwechsels das „alte“ Statut für die Begründung der Rechte, Rechtslagen und Rechtsverhältnisse und für die bis zum Statutenwechsel eingetretenen Wirkungen anwendbar bleibt. Über weitere Wirkungen entscheidet das „neue“ Vertragsstatut. So ist an deutschem Recht zu messen, ob und inwieweit Vorgänge, die sich unter Geltung fremden Rechts ereignet haben, im Sinne der fraglichen inländischen Norm als tatbestandsmäßig anzuerkennen sind oder nicht (vgl. MünchKommBGB/Sonnenberger 5. Aufl. Einl. IPR Rn. 607; Deinert RIW 2008, 148; v. Hoffmann/Thorn IPR 9. Aufl. § 5 Rn. 104; ähnlich für den Fall des Betriebsübergangs: BAG 26. Mai 2011 – 8 AZR 37/10 – Rn. 43 ff.). Es geht in solchen Fällen nicht um eine – unzulässige – Anwendung deutschen Rechts auf einen Auslandssachverhalt, sondern um die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine deutsche Norm – hier § 1 Abs. 1 KSchG – auf ein ihrem Wirkungskreis unterliegendes Arbeitsverhältnis anzuwenden ist (vgl. Junker RIW 2001, 94, 105; Schlachter NZA 2000, 57, 63; Straube DB 2009, 1406). Darauf musste und konnte sich die Beklagte einrichten, als sie sich der deutschen Rechtsordnung unterwarf.

31

ff) Mögliche praktische Schwierigkeiten, die sich im Hinblick auf eine Einbeziehung solcher Beschäftigungszeiten ergeben können, die unter Geltung ausländischen Rechts zurückgelegt wurden, rechtfertigen kein anderes Ergebnis. Zwar mag im Einzelfall die Feststellung, ob es sich bei einem Vertragsverhältnis, das zeitweise ausländischem Vertragsstatut unterlag, durchgängig um ein Arbeitsverhältnis im kündigungsschutzrechtlichen Sinne gehandelt hat, nicht einfach sein. Dies ist aber nach der ratio legis des § 1 Abs. 1 KSchG hinzunehmen. Abgesehen davon dürfte vielfach – so auch im Streitfall – der Arbeitnehmerstatus des Beschäftigten während der ausländischem Recht unterfallenden Zeiten unstreitig sein.

32

c) Danach hat das Landesarbeitsgericht zu Recht die unter Geltung des Arbeitsvertrags vom 7. April 2008 zurückgelegten Beschäftigungszeiten in die Berechnung der Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG einbezogen.

33

aa) Der Kläger stand ab dem 7. April 2008 in einem Arbeitsverhältnis zur „P AG“. Der auf den 9. Juni 2008 datierte – neue – Arbeitsvertrag bezeichnet als Arbeitgeberin die „P, Aktiengesellschaft lettischen Rechts, Zweigniederlassung B“. Eine Änderung der Arbeitgeberstellung ging damit nicht einher. Mit beiden Bezeichnungen ist dieselbe juristische Person angesprochen. Die Zweigniederlassung der Beklagten ist ausweislich der Eintragungen in das Handelsregister rechtlich unselbständig. Aus § 53 des Kreditwesengesetzes (KWG) folgt nicht, dass sie als eigenständiges Unternehmen iSv. § 1 Abs. 1 KSchG anzusehen wäre. Gemäß § 53 Abs. 1 Satz 1 KWG gilt die inländische Zweigstelle eines ausländischen Unternehmens, die Bankgeschäfte betreibt oder Finanzdienstleistungen erbringt, als Kreditinstitut oder Finanzdienstleistungsinstitut. Nach § 53 Abs. 2 Nr. 6 KWG gilt das Institut für die Anwendung von § 36 Abs. 1 KWG als juristische Person. Darüber hinaus gilt nach § 53 Abs. 2a KWG die Zweigstelle für die Bestimmungen des Gesetzes, „die daran anknüpfen, dass ein Institut das Tochterunternehmen eines Unternehmens mit Sitz im Ausland ist, als hundertprozentiges Tochterunternehmen der Institutszentrale mit Sitz im Ausland“. Diesen Regelungen ist der Zweck gemein, die Vorschriften des KWG auf rechtlich und wirtschaftlich unselbständige Zweigstellen eines Unternehmens mit Sitz in einem anderen Staat anwendbar zu machen. Ihre Wirkungen gehen aber nicht darüber hinaus.

34

bb) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die rechtliche – in tatsächlicher Hinsicht allenfalls den 5. und 6. Juli 2008 betreffende – Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses der Parteien sei unbeachtlich, lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Da die rechtliche Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses mit einem Wochenende zusammenfiel, dürfte ohnehin von einer nahtlosen Fortsetzung der Beschäftigung des Klägers auszugehen sein. Zumindest ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landesarbeitsgericht einen engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang zwischen den beiden Arbeitsverhältnissen bejaht hat. Nach übereinstimmendem Vortrag der Parteien war der Kläger durchweg als Filialleiter beschäftigt, mag er sich zeitweise auch in der Einarbeitung befunden haben. Die Gründe für die Unterbrechung lagen weder in den betrieblichen Verhältnissen noch im Verhalten des Klägers. Ebenso wenig ist für die Anwendung von § 1 Abs. 1 KSchG von Belang, ob der Kläger unter Geltung des ersten Arbeitsvertrags nach Deutschland lediglich „entsandt“ worden war. Die Beklagte hat selbst vorgebracht, dies habe seiner Erprobung gedient.

35

cc) Unschädlich ist, dass der Kläger mit Unterzeichnung des Arbeitsvertrags vom 9. Juni 2008 erklärte, zwischen den Parteien habe zuvor kein Arbeitsverhältnis bestanden. Mit dieser Erklärung konnte er sich künftiger Rechte aus dem Kündigungsschutzgesetz nicht begeben.

36

dd) Ausgehend vom 7. April 2008 errechnet sich bis zum Zugang der Kündigung eine Beschäftigungszeit von knapp acht Monaten. Selbst wenn man nur auf die Zeiten abstellen wollte, während derer der Kläger regelmäßig in M tätig war, mithin die Zeit ab dem 20. Mai 2008, wäre die Wartezeit erfüllt.

37

2. Der betriebliche Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes ist eröffnet.

38

a) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die M Filiale und die damals in B ansässige Zweigniederlassung der Beklagten seien als ein einheitlicher Betrieb iSv. § 23 Abs. 1 KSchG anzusehen, wird von der Revision nicht angegriffen. Sie ist auch materiellrechtlich nachvollziehbar. Die Beklagte hat im vorliegenden Rechtsstreit nicht behauptet, in der M Filiale sei ein Leitungsapparat vorhanden gewesen, der wesentliche Entscheidungen in personellen und sozialen Angelegenheiten selbständig habe treffen können. Solche Befugnisse lagen bei der Leitung der Zweigniederlassung B. Diese zeichnete auch für die Kündigung des Klägers und anderer Beschäftigter der Filiale verantwortlich (zu den einzelnen Voraussetzungen eines selbständigen Leitungsapparats vgl. BAG 28. Oktober 2010 – 2 AZR 392/08 – Rn. 17, EzA KSchG § 23 Nr. 37; 15. März 2001 – 2 AZR 151/00 – zu II 1 b der Gründe, EzA KSchG § 23 Nr. 23; jeweils mwN). Die Entfernung zwischen B und M rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Ein Betrieb im kündigungsrechtlichen Sinne setzt keine räumliche Einheit voraus (BAG 15. März 2001 – 2 AZR 151/00 – aaO).

39

b) In ihrem Betrieb beschäftigte die Beklagte regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden. Der Kläger gehörte, was ausreicht, dem Betrieb im Kündigungszeitpunkt an.

40

III. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt.

41

1. Dringende betriebliche Erfordernisse iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG liegen vor, wenn das Bedürfnis für eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers im Betrieb entfallen ist (BAG 16. Dezember 2010 – 2 AZR 770/09 – Rn. 13, EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 165). Regelmäßig entsteht ein solches Erfordernis nicht allein und unmittelbar durch bestimmte wirtschaftliche Entwicklungen (Produktions- oder Umsatzrückgang etc.), sondern aufgrund einer hierdurch veranlassten Organisationsentscheidung des Arbeitgebers (unternehmerische Entscheidung). Diese Entscheidung als solche ist gerichtlich nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit hin, sondern nur darauf hin zu überprüfen, ob sie offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist (BAG 16. Dezember 2010 – 2 AZR 770/09 – aaO; 10. Juli 2008 – 2 AZR 1111/06 – Rn. 24 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 181 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 163; 18. Oktober 2006 – 2 AZR 434/05 – Rn. 31, EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 151). Von den Gerichten nachzuprüfen ist dagegen, ob die Entscheidung tatsächlich vollzogen wurde und das Beschäftigungsbedürfnis für einzelne Arbeitnehmer hat entfallen lassen (BAG 10. Juli 2008 – 2 AZR 1111/06 – aaO; 17. Juni 1999 – 2 AZR 522/98 – zu II 1 a der Gründe, BAGE 92, 61).

42

2. Allerdings kann in Fällen, in denen die Organisationsentscheidung des Arbeitgebers und sein Kündigungsentschluss praktisch deckungsgleich sind, die ansonsten berechtigte Vermutung, die Entscheidung sei aus sachlichen Gründen erfolgt, nicht unbesehen greifen. In diesen Fällen muss der Arbeitgeber vielmehr konkrete Angaben dazu machen, wie sich seine Organisationsentscheidung auf die Einsatzmöglichkeiten der Arbeitnehmer auswirkt (BAG 16. Dezember 2010 – 2 AZR 770/09 – Rn. 14, EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 165; 10. Juli 2008 – 2 AZR 1111/06 – Rn. 26, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 181 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 163; jeweils mwN). Der Arbeitgeber muss konkret erläutern, in welchem Umfang und aufgrund welcher Maßnahmen die bisher von dem betroffenen Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten für diesen zukünftig entfallen. Er muss die Auswirkungen seiner unternehmerischen Vorgaben auf die zukünftige Arbeitsmenge anhand einer schlüssigen Prognose konkret darstellen und angeben, wie die anfallenden Arbeiten vom verbliebenen Personal ohne überobligationsmäßige Leistungen erledigt werden können (BAG 16. Dezember 2010 – 2 AZR 770/09 – Rn. 15, aaO; 13. Februar 2008 – 2 AZR 1041/06 – Rn. 16 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 174 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 158).

43

3. Diesen Anforderungen wird der Sachvortrag der Beklagten nicht gerecht. Ihre Organisationsentscheidung (Einsparung von Personalkosten durch Arbeitsplatzabbau, ua. Streichung der Stelle eines Filialleiters) ist mit dem Entschluss zur Kündigung nahezu identisch. Die Beklagte hätte daher die organisatorische Durchführbarkeit und Nachhaltigkeit ihrer Entscheidung näher darlegen müssen. Das ist, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, nicht geschehen.

44

C. Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

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